Rückkehr geglückt: Dank zwei späten Toren von Sommer-Neuzugang Richarlison startet Tottenham mit einem Sieg in die Gruppenphase der Champions League. Unser Spielbericht zu einer emotionalen Nacht.
Für die viel antizipierte Rückkehr der Spurs auf die große Bühne setzte Antonio Conte in weiten Teilen auf das Personal vom vorherigen Spiel gegen Fulham. Das bedeute auch, dass die beiden unangefochtenen Stammspieler der letzten Saison, Dejan Kulusevski und Ben Davies, erneut auf der Bank Platz nehmen mussten und der zuletzt viel kritisierte Son Heung-Min seinen Platz in der Anfangsformation auch gegen Marseille behielt. Auf der linken Außenverteidigerposition erhielt außerdem der routinierte Ivan Perisic den Vorzug vor Ryan Sessegnon. Bei den Gästen fehlte Alexis Sanchez gesperrt, während der zuletzt verletzte Dimitri Payet zunächst auf der Bank saß. In der Startelf hingegen standen die ehemaligen Arsenal-Spieler Nuno Tavares und Guendouzi. Vor allem Letzterem wurde von den Heimfaans (zurecht) ein entsprechender Empfang bereitet.
Matchwinner Richarlison
Die erste Hälfte zwischen Tottenham und Marseille war dann wahrlich kein Fußballspektakel. Nach gegenseitigem Abtasten kamen die Franzosen etwas besser ins Spiel und konnten ein leichtes Übergewicht verzeichnen, kreierten dabei jedoch auch keine zwingenden Torchancen. Die Spurs kamen immer mal wieder in Umschaltsituationen, es fehlte jedoch an Präzision im letzten Drittel, sodass auch die Gastgeber in Durchgang Eins kaum Offensivgefahr ausstrahlten. Besonders unglücklich präsentierte sich im Verlauf der Partie leider erneut Tottenhams südkoreanischer Superstar Son, der in dieser Saison nach wie vor torlos ist. Mit durchaus gemischten Gefühlen ging es für Antonio Conte und seine Mannschaft in die Pause.
Die zweite Halbzeit war noch nicht alt, als eine klare Rote Karte für Marseilles Innenverteidiger Chancel Mbemba das Spiel zugunsten der Spurs kippte. Zwar hatten die Spurs trotz Überzahl weiterhin damit zu kämpfen, sich zwingende Torchancen zu erspielen, in der 76. Minute sorgte dann aber Neuzugang Richarlison für die Erlösung. Nach starker Flanke Perisics köpfte die brasilianische Nummer Neun, die von den Verteidigern sträflich allein gelassen wurde, ein. Das Tottenham Hotspur Stadium ging durch die Decke. Von da an schien Marseille geschlagen, Richarlison erhöhte kurze Zeit später erneut per Kopf auf 2:0. Was der Doppelback beim Champions League-Debüt für den Brasilianer bedeutete, sah man nach Abpfiff am Spielfeldrand. Der Sommer-Neuzugang der Spurs, der völlig zurecht zum „Man of the Match“ gewählt wurde, lag seiner Familie in den Armen – Freudentränen strömten über sein Gesicht.
Unsichere Zeiten
Mit dem Auftaktsieg machen die Spurs den wichtigen ersten Schritt zur Qualifikation für die K.O.-Phase. Kommenden Dienstag wartet auswärts gegen Sporting Lissabon bereits die nächste Aufgabe in der Königsklasse. Da der Premier League Spieltag des vergangenen Wochenendes aus Trauer und Respekt vor der verstorbenen Queen Elizabeth II verschoben wurde, ist der Terminkalender der Spurs (zumindest für den Moment) etwas entzerrt. Nach der Weltmeisterschaft im neuen Jahr dürften die englischen Wochen dann aber knüppeldick kommen. Für den Moment ist das Trainerteam um Antonio Conte sicherlich trotzdem einigermaßen froh, vor der langen Auswärtsreise in die portugiesische Hauptstadt ein paar mehr Ruhetage als geplant zu haben. Dennoch stellt sich erneut die Frage: Wer darf am Dienstag spielen?
Die Rufe, den Torschützenkönig der vergangenen Premier League-Saison aus der ersten Elf zu nehmen, sind inzwischen unüberhörbar. Dejan Kulusevski gab derweil am Mittwochabend gegen Marseille für eine halbe Stunde den rechten Wing-Back. Eine Rolle, die Zukunft hat? Es sind wieder einmal Fragen über Fragen, wenn es um die Minutenverteilung bei den Spurs geht. Viel wichtiger ist aber das Kollektiv – und das sieht, trotz allen Sorgen der letzten Wochen – sehr gut aus: man ist in der neuen Saison nach wie vor ungeschlagen, hat Anschluss an die Tabellenspitze und ist nun mit einem Sieg in die Champions League gestartet. Unabhängig davon, ob am nächsten Wochenende in der Premier League Fußball gespielt wird, muss es jetzt das Ziel sein, den ersten Saisonabschnitt bis zur Länderspielpause auf einem Hoch zu beenden.
Die Einzelkritik
Die Einzelnoten reichen von 1 (unterirdisch) bis 10 (Weltklasse) und entsprechen lediglich der subjektiven Einschätzung des Autors.
Lloris (6/10): Selten gefordert, in Halbzeit Eins allerdings mit einer riskanten Faustabwehr in der Luft.
Romero (6/10): Unauffällig, aber wie immer solide.
Dier (6/10): Wie gewohnt ruhig, konstant und defensivstark in der Zentrale der Dreierkette.
Lenglet (6/10): Machte eine ordentliche Partie, wenngleich auch mit ein paar defensiven Wacklern. Konnte keine Schlüsselpässe spielen.
Royal (7/10): Wir wiederholen uns: Defensiv stark, auch im Umschalten nach vorne gefallen mir seine Laufwege. Sobald er aber den entscheidenen Pass spielen muss, vergisst Emerson das Fußballspielen. Sein Endprodukt nach vorne ist leider nicht existent.
Perisic (7/10): Lange unauffällig, bereitete dann aber stark das 1:0 für Richarlison vor. Mit einer wunderschönen Flanke der nächste Assist für den Kroaten.
Hojbjerg (8/10): Eric Dier, aber im Mittefeld. Zeigt Woche für Woche seine Klasse, wenn auch selten selbst im Rampenlicht. Spielte die Flanke zum 2:0.
Bentancur (6/10): Ein eher blasses Spiel von Bentancur, wenn auch ohne gravierende Patzer.
Son (5/10): Konnte den Aufwärtstrend vom Wochenende, als er deutlich agiler war, nicht fortsetzen. Gegen Marseille oft extrem unglücklich, vertändelte Zuspiele oder scheiterte kläglich vorm Tor. Sein Sprint provozierte jedoch die rote Karte.
Kane (6/10): Konnte dem Spiel nicht seinen Stempel aufdrücken. Musste er aber zum Glück auch nicht, denn mit Richarlison stand noch ein weiterer Top-Stürmer auf dem Platz.
Richarlison (8/10): Nach dem guten Spiel gegen Fulham bekam der Brasilianer erneut das Vertrauen in der Startelf und zahlte es aus. In der ersten Halbzeit noch bei einigen Aktionen unglücklich, bewies Richarlison in der Schlussphase einen guten Torriecher und stand zweimal perfekt. Doppelpack beim Champions League-Debüt. Ohne Frage: MOTM.