Mit Blick auf die Sommer-Transferperiode fällt in den letzten Tagen in Verbindung mit den Spurs immer wieder der Name Lautaro Martínez, der nach einem gescheiterten Wechsel im letzten Jahr wohl wieder weit oben auf Fabio Paraticis Zettel steht. Doch nicht alles spricht für den Argentinier – ein Pro und Contra.
Im Sommer 2021, einer Phase in der Tottenham von Nuno Esírito Santo gecoacht wurde und in der Harry Kane den Verein unbedingt verlassen wollte, tauchen wie aus dem Nichts handfeste Gerüchte um einen Transfer Lautaro Martínez zu den Spurs auf. Fabio Paratici wollte offenbar vom Ausverkauf bei den Mailändern profitieren: Ein Angebot von rund 70 Millionen exklusive Boni lag vor und Inter schien (aufgrund der finanziellen Schieflage) einem Verkauf gegenüber zumindest nicht grundsätzlich abgeneigt zu sein. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: mit den Verkäufen von Hakimi und Lukaku konnte sich Inter Mailand die Taschen genug füllen, um den talentierten Mittelstürmer zu behalten und stattete ihn im Oktober desselben Jahres noch mit einem neuen Vertrag bis 2026 aus.
Ein Jahr später scheinen die Spurs nun doch wieder an dem Argentinier dran zu sein, der in der laufenden Serie-A-Saison 14 Tore und 2 Assists in 28 Spielen vorzuweisen hat. Fabio Paratici, hört man, liebt den 24-Jährigen und so weiß der italienische Sky-Transferexperte Gianluca Di Marzio zu berichten, dass Tottenham im Sommer erneut die Fühler nach Martínez ausfahren wird. Nachdem die Gerüchte in den letzten Tagen wieder etwas hochgekommen sind, habe ich viel über einen hypothetischen Transfer Martínez‘ nachgedacht. Auf anfängliche Skepsis folgte dann doch Euphorie angesichts der Vorstellung, das Sturmduo Martínez und Kane bei den Spurs zu sehen. Deshalb habe ich mich entschieden, meine Gedankengänge festzuhalten und den Deal nüchtern und sachlich in Pro und Contra zu unterteilen.
Pro
Dass Lautaro Martínez ein absoluter Elite-Stürmer ist, sollte sich herumgesprochen haben. Nicht umsonst liegt sein Preisschild in einer Region um die 75 Millionen Euro. In seiner Zeit bei Inter Mailand kommt der Argentinier auf 65 Tore und 22 Assists in 172 Spielen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Meistersaison Inters 2020/21 unter dem jetzigen Spurs-Coach Antonio Conte gelegt werden, in der Martínez als Doppelspitze mit Lukaku 10 seiner insgesamt 22 Assists im Inter-Trikot seit 2018 beisteuerte, und darüber hinaus noch 17-mal selbst einnetzte. 27 Torbeteiligungen in 38 Spielen, das sind unglaubliche Werte.
Und gerade diese Aussicht, dass Martínez ähnlich wie bei Inter auch bei Tottenham unter Contes Fittiche in einem Doppelsturm mit Harry Kane aufblühen könnte, bringt viele Fans ins Schwärmen. Die Offensivpower, die von einer derartigen Kombination ausgehen kann, haben Lukaku und Martínez bereits unter Beweis gestellt. Und sind wir mal ehrlich: Harry Kane ist im Grunde genommen einfach nur der bessere Lukaku. Kanes Fähigkeiten, neben seinem phänomenalen Abschluss sich auch als Spielmacher etwas fallen zu lassen, den Ball mit entscheidenden Pässen ins letzte Drittel zu verteilen und das Offensivspiel so zu diktieren, machen ihn zum idealen Sturmpartner für Martínez. Wie mein Kollege SpursNext-Kollege Felix es immer wieder so treffend sagt: Wenn Harry Kane sich selbst zuspielen könnte, dann wäre Tottenham längst Meister. Mit Martínez könnte er einen Abnehmer für seine Bälle finden, der zumindest ähnlich kaltschnäuzig vor dem Tor ist.
Weitere Argumente für die Verpflichtung von Martínez ist eine bessere Kadertiefe (vor allem um verletzungsbedingte Ausfälle zu kompensieren) sowie größere taktische Flexibilität. Auf dem Papier ist an dem Offensivtrio Son – Kane – Kulusevski nichts auszusetzen. Ich würde sogar so weit gehen, dass die Offensive eine der qualitativ am besten besetzten Mannschaftsteile der Spurs ist. Und um Gottes Willen, keiner der drei Angreifer muss zwingend ersetzt werden. Trotzdem weisen immer wieder viele Spurs-Fans darauf hin, dass es sich hinter unserem Angriffstrio schnell ausdünnt, und das mit den bisherigen Ersatzspielern (Bergwijn & Lucas) die Offensivpower auf dem Feld deutlich abnimmt. Um Titel zu gewinnen, so die Argumentation, braucht es aber eine gewisse Qualität und Breite im Kader, die nicht nur die Abhängigkeit von einzelnen Spielern reduziert, sondern gleichzeitig die taktischen und spielerischen Möglichkeiten einer Mannschaft verbessert. So könnte ein Lautaro Martínez die ohnehin schon ganz gut funktionierende Offensive der Spurs weiter verbessern und gleichzeitig die Abhängigkeit von Harry Kane und Son Heung-Min reduzieren.
Contra
Es gibt wohl kaum ein Team in Europa, dem Lautaro Martínez nicht weiterhelfen könnte. Insofern erscheint Kritik an diesem Transfer im ersten Moment nicht nur als Jammern auf hohem Niveau, sondern als komplett banal. Und doch gibt es Fans, die nicht hundertprozentig überzeugt sind von dem Deal oder zumindest noch nicht ganz sicher sind, zu denen auch einige von uns SpursNext-Autoren zählen. Mögliche Vorbehalte an dem Deal betreffen (zumindest was mich angeht) allerdings auf keinen Fall den Fußballer Lautaro Martínez und dessen Qualitäten. Dass ich ihn prinzipiell sehr gut bei den Spurs sehen könnte, habe ich bereits zur Genüge ausgeführt. Es geht mehr um die Sinnhaftigkeit des Deals im Angesicht der finanziellen Dimensionen und auch der taktischen Implikationen, die eine Verpflichtung des argentinischen Stars bedeuten würden.
Kommt Lautaro Martínez zu den Spurs, so ist davon auszugehen, dass Antonio Conte zum bewährten 3-5-2 zurückkehren würde, mit dem er Inter 2021 zum Scudetto führte. Harry Kane (vorausgesetzt, er bleibt im Sommer bei Tottenham) und Martínez würden dann gemeinsam als Doppelspitze auflaufen. Eine Vorstellung, die viele ins Schwärmen bringt. Dahinter spielen in Contes System, abgesehen von den beiden Wing-Backs, drei Mittelfeldspieler mit unterschiedlicher Arbeitsaufteilung. In der Inter-Elf waren das meistens Christian Eriksen, Marcelo Brozovic und Nicolò Barella. Bei Tottenham könnte dieses Mittelfeldtrio in der nächsten Saison aus Rodrigo Bentancur, Oliver Skipp oder Pierre-Emile Hojbjerg und möglicherweise besagtem Christian Eriksen bestehen, wenn letzterer von einer Rückkehr zu den Spurs überzeugt werden kann.
Problematisch wird es, eine Position für Son Heung-Min in diesem System zu finden. Denn während Antonio Conte es vielleicht noch eher schaffen würde, den jungen Dejan Kulusevski in einen zentral-offensiven Mittelfeldspieler umzuschulen, so scheint sich Sonny eher entweder im Sturmzentrum oder auf der linken Außenbahn wohler zu fühlen. Ihn in das Mittelfeldtrio zu integrieren, dürfte schwierig werden. Und auf der linken Wing-Back Position würden gleichzeitig seine defensiven Defizite zu sehr offenbart und seine offensiven Qualitäten zu wenig genutzt werden.
Es scheint, als gebe es für Son im 3-5-2 keinen wirklichen Platz. Das offenbart ein Kernproblem des Lautaro-Transfers. Denn die Verpflichtung von Martínez würde bedeuten, dass zwischen den beiden womöglich ein Konkurrenzkampf entfacht. Mit Martínez hat man einen 75-Millionen-Neuzugang, der als einer der vielversprechendsten jungen Stürmer Europas gehandelt wird auf der einen, mit Son Heung-Min eine absolute Konstante im Spurs-Trikot und ein Torgarant der letzten Jahre mit einem Marktwert um die 100 Millionen Euro auf der anderen Seite. In meinen Augen will ich keinen der beiden auf der Bank sehen (genauso wenig übrigens Dejan Kulusevski, der meiner Meinung nach das Potenzial hat, ein sehr wichtiger Spieler für uns zu werden). Und so schön die Verpflichtung von Martínez auch sein würde – die logischste wäre sie womöglich nicht. Ein Problem, auf das das auch Nathan Clark vom Spurs-Podcast “The Extra Inch” auf Twitter hinwies.
Letztendlich könnte man sagen, dass mit einer gewissen Rotation und Flexibilität im System (ob 3-5-2 oder 3-4-3) alle Offensivspieler zu ihren Einsätzen kommen werden. Schließlich hat Antonio Conte es bei Inter auch geschafft, Alexis Sanchez in den Doppelsturm aus Lukaku und Martínez einzubinden. Und genau das wird die große Herausforderung an den Italiener während des Sommers sein: er muss den Spielern seine Philosophie verinnerlichen und Tottenham Hotspur endgültig zu einem Conte-Team formen. Wenn er das schafft, könnte die Mannschaft nächste Saison Großes erreichen. Für viele Anhänger ist das jedoch noch zu viel Konjunktiv, weshalb sie einer Investition in der Größenordnung von Martínez skeptisch gegenüberstehen. Zumal es im Kader durchaus größere Baustellen als die Stürmerposition gibt, die dringend gelöst werden müssen. Natürlich soll die Offensive im Sommer verstärkt werden, vor allem ein Back-Up für Harry Kane wäre wünschenswert. Die Frage bleibt jedoch, ob ein Blockbuster-Transfer von Martínez in der jetzigen Situation der richtige Weg wäre.