Zum Inhalt springen
Startseite » Blog » Derby mit Endspielcharakter – Spielvorschau Arsenal

Derby mit Endspielcharakter – Spielvorschau Arsenal

Es dürfte eine Partie werden, für die der Begriff „Must Win“ erfunden wurde. Ein Spiel, bei dem die Fitnessuhren an den Handgelenken aller Spurs-Fans besorgt nachfragen, ob man bei solch einem Puls nicht lieber zum Arzt gehen sollte. Das North London Derby ist immer eine Qual und dieses Mal ist es besonders schlimm. Alles über die Bedeutung und Hintergründe der Partie gegen Arsenal lest ihr hier.

Eigentlich hätte das 191. Aufeinandertreffen der beiden Nordlondoner Clubs Tottenham Hotspur und Arsenal FC bereits am 16. Januar 2022 stattfinden sollen. Dazu kam es nicht – die Gunners machten einen Rückzieher. Da sie einige Ausfälle durch Verletzungen und AFCON zu beklagen und im Wintertransferfenster zu viele Spieler verliehen hatten, nutzten sie die damaligen Covid-19-Regeln und baten die Premier League, das Match zu verschieben. Obwohl im Kader Arsenals nur ein einziger (!) Infektionsfall aufgetreten war, gab die Liga dem Gesuch statt. Ein Vorgehen, dass zurecht nicht nur bei Spurs-Fans, sondern auch beim Club und vielen neutralen Fußballfans für Entrüstung sorgte. (Die Regeln zur Verschiebung von Partien wurden übrigens im Anschluss an diese Farce geändert.) Aktuell – Stand: 11. Mai 2022, 19:24 – ist davon auszugehen, dass sich The Arsenal morgen tatsächlich zum Derby anzutreten bequemt.

Die letzte Nordlondoner Kollision

Als Tottenham Hotspur zuletzt gegen auf den Rivalen aus Woolwich traf, war die Gemengelage sehr verschieden. Die Ära Nuno Espírito Santo war nach kurzzeitigem Höhepunkt im August bereits knapp vorm Exitus. Vor dieser Partie hatte man zwei 3:0-Niederlagen gegen Crystal Palace und Chelsea eingefahren und es gab es keine große Hoffnung, dass auswärts im Emirates Stadium Punkte zu holen wären. Doch das Auftreten der Mannschaft in der erste Hälfte gehört wohl zu den desolatesten Leistungen eines Teams, das in den letzten Jahren mit desolaten Leistungen nicht gerade gespart hat. Die Defensive der Lilywhites wirkte vollständig überfordert. Das Mittelfeld war größtenteils nicht existent. Die Arsenal-Spieler konnten kaum ihren Augen trauen ob der gewaltigen Lücken, die sich zwischen den gegnerischen Ketten auftaten. Nach 33. Minuten lagen die Gunners mit drei Toren vorne.
Zwar war der Auftritt in Halbzeit Zwei etwas besser und Son gelang zumindest der Anschlusstreffer. Freilich hatte Arsenal zu diesem Zeitpunkt längst in den Verwaltungsmodus geschaltet. Die Entrüstung unter Spurs-Fans und auch bei Paratici und Co. war gewaltig. Es war der Anfang vom Ende des portugiesischen Trainers. Knapp einen Monat später übernahm Antonio Conte die Mannschaft.

Neugewonnene Stärke

Seit dieser Trainer Tottenham Hotspurs ist, hat sich viel getan. Dass man sich aktuell überhaupt im Kampf um die Königsklasse befindet, ist vor allem beeindruckender Verdienst des italienisches Coaches ist. Punktemäßig sind die Spurs seit Contes Amtsantritt am 2. November 2021 das viertbeste Team der Liga. Besser waren in diesem Zeitraum nur Liverpool, Manchester City – und Arsenal.

Denn man muss zugeben, dass der Nordlondoner Rivale eine überaus gelungene Saison spielt. Im letzten Sommer war tief in die Tasche gegriffen worden. Verpflichtungen wie u.a. Torwart Aaron Ramsdale, Rechtsverteidiger Takehiro Tomiyasu von Bologna, Innenverteidiger Ben White und der zuvor ausgeliehene Martin Ødegaard von Real Madrid haben die Mannschaft zweifellos verbessert. Nach miserablem Start in die neue Saison, bei dem die Gunners u.a. mit 5:0 von Manchester City abgeschossen wurden, konnte sich das Team um den spanischen Trainer Mikel Arteta wieder sammeln. Zwar zeigten sich immer wieder Phasen der Instabilität, doch das Jahr 2021 ließ man auf dem vierten Tabellenplatz ausklingen. Auch in den folgenden Partien war Arsenal reihenweise siegreich – wenn auch nicht immer mit glanzvollen Auftritten.

Anfang April jedoch geriet das Team wieder in eine schwerere Krise. Mit den drei aufeinanderfolgenden Niederlagen gegen Crystal Palace, Brighton und Southampton kamen viele Fragen auf. Es schien, als hätten sich die Gunners die Chancen auf die Top 4 verspielt. Hinzu kamen Verletzungen von Leistungsträgern wie Partey, Tierney und (weiterhin) Tomiyasu. Dass Arsenal – leider – trotzdem im Kampf um die Champions-League-Qualifikation die Nase vorne hat, liegt zum einen an ihren unerwartet deutlichen Siegen gegen Chelsea und Manchester United. (Über die Natur dieser Siege soll hier geschwiegen werden.) Zum anderen patzten die Spurs überraschenderweise gleich doppelt gegen Brighton und Brentford.

Was auf dem Spiel steht

Nach dem Unentschieden der Spurs gegen Liverpool und dem Sieg Arsenals über Leeds sehen die cold, hard facts wie folgt aus: Die Gunners stehen mit 66 auf dem vierten, die Lilywhites mit 62 Punkten auf dem fünften Tabellenplatz. Auch wenn Tottenham gewinnen sollte, wird sich an der direkten Platzierung zunächst nichts ändern. Lediglich der Abstand auf die (Nord-)Londoner Konkurrenten wäre auf einen Zähler dahingeschmolzen. Arsenal könnte hingegen mit einem Auswärtssieg die Champions-League-Qualifikation sicher machen – und das in unserem Stadion. Die resultierende 7-Punkteführung wäre für die Spurs bei zwei verbleibenden Partien nicht mehr einzuholen.

Es steht also sehr viel auf dem Spiel – Triumph wie Blamage. Nur durch 3 Punkte könnte Tottenham weiterhin darauf hoffen, diese Saison in der Top 4 zu beenden. Dazu müsste das Team um Mikel Arteta allerdings noch mindestens einmal patzen. Außerdem ist die Vorstellung, die Gunners könnten im eigenen Stadion die erste CL-Qualifikation seit 2016/17 feiern, für jeden Spurs-Fan ein Albtraum. Unabhängig all dieser Umstände muss die Direktive in jedem North London Derby aber sowieso sein, den verhassten Gegner so hoch und beschämend wie möglich zu schlagen. Es ist davon auszugehen, dass das auch jedem Spieler im Spurs-Kader bewusst ist.

Antonio Conte blickt erwartungsvoll auf seine NLD-Premiere. Bei SpursTV verglich er das Match mit Derbies wie Roma gegen Lazio und sagte: “It’s my first north London derby and I know very well what this game means for this Club, for our fans. We have to know very well what it also means for the table for us at this moment. We are fighting for a place in the Champions League, we are in this race with Arsenal. (…) At the same time, I want to try to give satisfaction to our fans, they deserve this type of satisfaction in a tough game, a derby against Arsenal.”

Trust the process?

Man muss den FC Arsenal nicht unnötig glorifizieren. Aber Mikel Arteta hat ein durchaus interessantes Projekt auf die Beine gestellt. Der spanische Trainer übernahm den Verein im Dezember 2019 und führte ihn in beiden Saisons seitdem auf den achten Tabellenplatz. Eine recht schwache Bilanz, wäre da nicht noch der Gewinn des FA Cups 2019/20. Arteta hat in seiner bisherigen Amtszeit einige schwere Krisen überstanden, die ihn durchaus nahe an die Entlassung geführt haben. Das Board hat an ihm festgehalten, die Form besserte sich und gerade letzte Woche wurde sein Vertrag bis 2025 verlängert.

Bevor er Cheftrainer bei Arsenal wurde, arbeitete Mikel Arteta als Assistent bei Manchester City. Entsprechend ist der Einfluss Pep Guardiolas deutlich wahrzunehmen. Zugleich zeigen sich einige Unterschiede:
Ganz ähnlich wie Guardiola ist das Build-Up-Play der Gunners recht langsam und ballbesitzorientiert. Allerdings legt Arteta mehr Wert auf ein vertikales Umschaltspiel. Tatsächlich konnte Arsenal zusammen mit West Ham die meisten Tore (6) durch Konter generieren – bei den Spurs sind es lediglich 4. Während in der letzten Saison bei Angriffen eine starke Dominanz der rechten Seite zu diagnostizieren war, zeigt sich die Mannschaft inzwischen deutlich ausgeglichener. Viel geht durchs Zentrum, wo insbesondere Ødegaard durch progressive Pässe das Zusammenspiel mit Saka sucht. Gleichzeitig orientiert er sich vermehrt nach hinten.
Auch Granit Xhaka spielt in dieser Saison eine wichtige und teilweise unterschätzte Rolle. Es führt ihn häufiger als in den letzten Saisons nach vorne, wo er unter Druck Pässe zu spielen vermag. Dadurch lassen sich seine defensiven Schwächen kaschieren.

Ein großes Manko in dieser Saison stellt die Offensive dar. Nach dem unschönen Abgang Aubameyangs füllte zunächst Lacazette die Rolle des Stürmers aus, der jedoch daran scheiterte und bis jetzt lediglich vier Tore geschossen hat. In der letzten Zeit steht daher Eddie Nketiah als 9er auf dem Platz, der schon als sicherer Abgang im Sommer galt. Der englische Mittelstürmer konnte in den letzten fünf Partien gleich vier Mal treffen und gilt wohl auch am Donnerstag als gesetzt. Mit Martinelli und Saka hat man junge Talente im Kader, die den Ball in gefährliche Positionen tragen und an den meisten Torsituationen im Spiel beteiligt sind. Gerade Bukayo Saka zeichnet sich durch eine ausgezeichnete enge Ballkontrolle und -behauptung aus. Er spielt zwischen den Linien, ist sehr gut in 1-v-1-Situationen und sucht die Läufe in die Tiefe. In dieser Saison ist der englische Nationalspieler mit 11 Toren und 6 Assists sicherlich der gefährlichste Gunner.

Arteta lässt in variablen Defensivformationen spielen. Anders als Guardiolas City presst sein Team sehr viel weniger aggressiv und wenn, dann auf bestimmte Trigger hin und sehr hoch. So verzeichnet Arsenal die viertmeisten Pressings und sechstmeisten Berührungen im gegnerischen Drittel in der Premier League. Zugleich kann die Mannschaft aber auch kompakt stehen und proaktiv verteidigen. Etwa ist kein Team der Premier League seltener durch Gegner ausgedribbelt worden als Arsenal. Die Rückkehr Tomiyasus auf die linke bzw. rechte Verteidigerposition hat für zusätzliche Stabilität gesorgt. Noch fraglich ist, ob Ben White für das Match gegen Tottenham zurückkehren und Rob Holding in der Innenverteidigung ersetzen wird. Der 24-jährige Defensivspieler weist ein beachtliches Spielverständnis auf, er ist ein guter Tackler, beachtlicher Passspieler und liebt es, Angreifer unter Druck setzen. Sein Ausfall wäre für die Gunners schmerzhaft.

Was ist möglich?

Bei allem Lob darf man nicht vergessen, dass Arsenal sich auch in dieser Saison häufig unbeständig und nachlässig gezeigt hat. Bei Ballbesitz unterlaufen nicht selten Fehler, die recht häufig zum Schuss des Gegners führen. War Torwart Ramsdale in der ersten Hälfte der Saison noch in ausgezeichneter Form, ist er in den letzten Monaten merklich fehleranfälliger bei Schüssen auf sein Tor geworden. Hinzu kommen die genannten Verletzungen von Tierney, Partey und eventuell White.

In den Partien gegen Crystal Palace, Brighton und Southampton zeigten sich die Gunners in desolater Verfassung. Nicht nur defensiv waren deutliche Schwächen zu bemerken, auch offensiv war das Team ideenlos gegenüber (halbwegs) solide stehenden Gegner. Das letzte Spiel gegen Leeds unterstrich den instabilen Charakter des Teams. Zwar war man recht früh mit zwei Toren gegen den vom Abstieg bedrohten Gegner in Führung gegangen und spielte zudem sechzig Minuten lang in Überzahl. Trotzdem gelang Leeds der Anschlusstreffer und die Partie wurde noch überraschend eng.

All dies sollte den Spurs Mut machen – und vielleicht zur Beruhigung jedes Spurs-Fans beitragen. Auch wenn zuletzt ebenfalls weniger gute Leistungen zu beklagen waren, haben die Partien gegen Leicester und Liverpool erneut die Stärke Tottenhams bewiesen. Die Verteidigung steht größtenteils enorm sicher: In acht Spielen kassierten die Lilywhites lediglich fünf Tore. Das Aufbauspiel von hinten funktioniert immer besser. Die Dreierkette Romero – Dier – Davies ist zurecht viel gelobt worden. Kulusevski ist eine enorme Bereicherung für den Angriff und konnte das nach kurzem Abfall wieder beweisen. Son ist in optimaler Verfassung und könnte in dieser Saison noch Salah um die Torschützenkrone bringen. Auch Kane spielt weiterhin meist ausgezeichnet, mag er auch seltener treffen als in den letzten Monaten. Und selbst der viel gescholtene Emerson zeigte gegen Liverpool eine exzellent Performance.

Es ist bekannt, dass sich die Spurs gegen tiefer stehende und das Mittelfeld dominierende Teams schwer tun. So ist es möglich, dass sich Arsenal vor allem aufs kompakte Verteidigen und Umschaltspiel konzentrieren wird. Zu viel Sorgen sollte man sich dabei jedoch auch nicht machen, immerhin haben die Gunners in ihren letzten sieben Spielen mindestens ein Gegentor kassiert. Vielleicht ist Mikel Arteta aber auch bestrebt, mitzuspielen. Das dürfte zweifellos Räume für Pässe und Läufe in die Tiefe eröffnen und uns sicherlich ebenfalls zugute kommen. Man darf gespannt sein, wie die Gunners auftreten.

Conte geht von einem Aufeinandertreffen aus, das in hohem Maße taktisch geprägt sein wird. “Arsenal are well organised, Arteta is doing a really good job and when you watch Arsenal, you know this team is well organised in the tactical aspect, really good players technically, good one-against-one. (…) We have to pay great attention, show great solidity, as always, and at the same time, when we have the ball, we have to try to hurt them.”

Can’t Smile Without You

Eines steht ohne Zweifel fest: Die Atmosphäre am Donnerstagabend wird großartig (und einschüchternd) werden. Nicht nur die besonderen Umstände der Partie machen dieses Aufeinandertreffen besonders. Tatsächlich wird dies das erste North London Derby im neuen Stadium vor vollen Rängen. Die letzten Matches zuhause gegen die Gunners hatten coronabedingt entweder ganze ohne oder nur mit begrenztem Publikum stattgefunden. Entsprechend wird schon seit Tagen auf Twitter und anderswo von allen Fans im Stadion gefordert, so viel Stimmung wie möglich zu machen. Der Verein plant ein Tifo im South Stand. Selten war die Unterstützung der Supporters so gefragt wie bei diesem Derby. Hoffen wir, dass die Spieler jene Befriedigung realisieren können, die Conte im Vorfeld der Partie versprochen hat.

Das Spiel könnt ihr am Donnerstagabend um 20:45 auf Sky verfolgen.

So könnte Tottenham spielen: Lloris, Reguilón, Davies, Dier, Romero, Emerson, Hojbjerg, Bentancur, Son, Kane, Kulusevski

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert