Das Leben ist schön. Die Spurs gewinnen im North London Derby mit 3:0 gegen die Gunners. Eine großartige und dominante Leistung, die den Abstand auf Arsenal verkürzt hat und Fans hoffen lässt. Wir blicken auf die unglaubliche Stimmung vor, während und nach der Partie, den Spielverlauf und die Champions-League-Qualifikationschancen.
4. April 1983: Tottenham Hotspur gewinnt mit 5 zu 0 Toren gegen Arsenal – so weit muss man für das letzt NLD zurückgehen, das die Spurs im eigenen Stadion mit drei Toren oder mehr für sich entscheiden konnten. Seitdem es die Premier League gibt haben die Lilywhites zuhause noch nie so hoch im Derby gegen den Rivalen aus Woolwich gewonnen. Diese Partie wird in mehrerer Hinsicht in Erinnerung bleiben. Durch die unsportliche Verschiebung, die ähnliche Tabellensituation der Gegner – und durch die Dominanz, die Tottenham auf und abseits des Platzes ausstrahlte. Denn nicht nur spielerisch sahen die Gunners kein Land: Bereits Stunden vor Anpfiff war die Atmosphäre in der Gegend um das Tottenham Hotspur Stadion beeindruckend. Alle Straßen im Umkreis waren für den Verkehr gesperrt. Auf der High Road sangen tausende Menschen, zündeten weiße und blaue Rauchfackeln und warteten auf die Gästefans.
Und die Spurs-Fans vor Ort kannten kein Nachlassen. Die Stimmung im neuen Stadion war sicherlich nie besser als an diesem Donnerstagabend. Der Schalldruckpegel war teilweise unglaublich, die Gästefans überhaupt nicht zu hören. Gerade zu Beginn der Partie muss das kollektive Pfeifen bei jeder Berührung eines Arsenal-Spielers einschüchternd gewesen sein. Mit dem Tor entlud sich im Publikum die ganze Anspannung der letzten Tage. Selbst im Fernsehen übermittelte sich diese beeindruckende Atmosphäre, der auch Fans anderer Vereine Tribut zollen mussten. Gary Neville meinte im Nachhinein: “That atmosphere, I have not seen in a stadium in this country this season. And I think this has been one of the highest standard Premier Leagues that I have seen, if not the highest, that is a pretty high compliment.”
Der erste Schock kam mit Verkündigung der Mannschaftsaufstellung. Bereits den ganzen Tag über hatten sich auf Twitter Gerüchte verbreitet, dass sich Cristian Romero verletzt habe und deshalb das Spiel verpasse werde. Leider bestätigten sich diese schlechten Nachrichten, denn der Argentinier scheint sich gegen Liverpool einen Knock zugezogen zu haben und fällt für die für die verbleibenden Matches aus. Ein schmerzhafter Verlust, denn Romero ist zweifellos einer der wichtigsten Spieler im Kader und wenn eine Partie wie gemacht für den temperamentvollen Verteidiger ist, dann ein North London Derby. Der Ausfall ließ einige Spurs-Fans – mich eingeschlossen – schon vorm Anpfiff kapitulieren, insbesondere weil sein Ersatz Davinson Sánchez schon seit Mitte Februar nicht mehr in der Startelf gestanden hatte. Die rechte Seite aus Sánchez und Emerson roch stark nach defensiver Instabilität, die Arsenal formidabel auszunutzen verstehen könnte.
Die ersten 10 bis 15 Minuten starteten etwas nervös. Es war klar, dass Vieles vom ersten Tor abhängen würde. Die Spurs begannen vorsichtig. Arsenal war zwar nicht die dominierende Mannschaft, doch pressten in einigen Situationen recht gut. In Erinnerung geblieben ist etwa ein Fehlpass Sanchez, der unter Druck den Ball am eigenen Strafraum verliert. Auch in dieser Phase konnte Arsenal nie wirklich gefährlich werden und die Spurs setzen immer wieder mit einigen Vorstößen Zeichen.
In der 19. Minute dann schlug Kulusevski einen schönen Pass an den linken Pfosten, wo der heranfliegende Son von Cédric und Holding umgeworfen wurde. Paul Tiernery hatte sich schnell entschieden und zeigte auf den Elfmeterpunkt. Das ist zweifellos ein recht softes Urteil, aber sicherlich auch keine Fehlentscheidung: Solche strittigen Elfmeter werden eben manchmal gepfiffen und jedes Team der Premier League kann davon ein Lied singen. Wenig überraschend trat Kane an, traf die rechte untere Ecke, Ramsdale entschied sich für die andere Seite und das Stadion explodierte förmlich.
Eines der vielen schönen Fotos, die an diesem Abend entstanden sind, zeigt die Spurs-Spieler vereint im Jubel und Emerson Royal, der eine von den Fans auf den Platz geworfene Rauchfackel in die Luft hält.
Spätestens ab diesem Moment wirkten die Gunners schwer verunsichert. Insbesondere Rob Holding schien mit dem Spiel nicht zurecht zu kommen und meinte mit Son eine Art Fehde auszutragen austragen zu müssen. Nach mehreren kleineren Tätlichkeiten sah er in der 26. Minuten zurecht die gelbe Karte – nur um gleich sieben Minuten später durch einen unnötigen und dummen Check gegen den südkoreanischen Stürmer die rote Karte zu erhalten. Eine Entscheidung, an der es wirklich gar nichts auszusetzen gibt. In der 37. Minute dann schoß Son eine schöne Ecke und Bentancur leitete den Ball überragend per Kopf an den hinteren Pfosten weiter. Dort stand Kane, der sich völlig unbewacht hatte freilaufen können, ins Tor einnickte und alle Spurs-Supporters in Ekstase versetzte. Wir treffen fast nie durch Ecken, Arsenal kassiert kaum Tore durch Ecken – a match made in heaven. Innerhalb von 15 Minuten hatten die Gunners einen Mann verloren und lag mit zwei Toren durch Kane hinten. Es hätte nicht besser laufen können.
Für die Gäste wurde es noch demütigender. Nur kurze Zeit nach dem Anpfiff der zweiten Halbzeit herrschte große Verwirrung in ihrem Strafraum. Sanchez spielte einen wunderbaren Pass auf Kane, doch Gabriel konnte den Ball gerade noch von sich weg schieben. Dort wartete jedoch Son, der ins von Ramsdale alleine gelassene Tor traf. Spätestens ab diesem Moment war selbst dem ängstlichsten Spurs-Fan bewusst: diese Partie ist gewonnen. Mit seinem 21. Tor in dieser Saison liegt er nur noch einen Treffer hinter Mo Salah.
Ab diesem Tor kontrollierten die Lilywhites das Spiel vollständig und hatten immer wieder gute Möglichkeiten. Insbesondere Emerson Royal hätte eigentlich nach einer fantastischen Hereingabe durch Kane ein Tor machen müssen. Am Ende der Partie verzeichneten die Spurs 5 Großchancen, von denen sie 3 verpassten. Wenn man einen Makel ausmachen möchte, dann ist es die Tatsache, dass man Arsenal auch gut und gerne mit noch mehr Toren hätte demütigen können. Bis auf einige wenige Aktionen haben die Gunners in den 90 Minuten überhaupt keine Gefahr ausgestrahlt. Ihr xG-Wert lautet 0,4 – für Tottenham liegt er hingegen bei 3,1. Allein Emerson Royal hat einen höheren xG-Wert als die gesamte Mannschaft Arsenals. Die selten Momente, in denen der Gegner in unseren Strafraum vorstoßen konnten, kamen allesamt über die rechte Seite mit Emerson und Sánchez – die jedoch trotz dieser Unsicherheiten beide ein sehr gutes Spiel machten.
Der ganze Auftritt der Mannschaft von Antonio Conte wirkte sehr erfahren und kontrolliert, ein seltsamer Kontrast zum wilden Schauspiel auf den Tribünen. Zugleich wussten die Spurs, taktische Fouls in den richtigen Momenten zu ziehen und die Gäste aus dem Konzept zu bringen. “I think we showed our experience, the experience in our squad,“ meinte Kane nach dem Spiel. Über weiter Aussagen, die nach dem Match gefallen sind, soll hier geschwiegen werden. Zum peinlichen Auftritt Mikel Artetas hat Antonio Conte alles gesagt, was zu sagen ist: „He complains a lot. He has to focus on his work & continue to work because he’s very good. To hear someone complain all the time is not so good. At Liverpool do you hear me complain about Fabinho? No. He can take my advice if he wants, but if not I don’t care.“
Wie geht es jetzt weiter? Die Spurs sind mit diesem Sieg auf einen Zähler an Arsenal herangekommen. Sie haben das deutlich bessere Torverhältnis und vermutlich auch die einfacheren Gegner. Das Match gegen Burnley am Sonntag könnte Potenzial haben, unangenehm zu werden. Darum war es umso schöner zu sehen, dass Conte und Spieler sich am Donnerstag zwar sehr erfreut gezeigt haben, zugleich aber immer wieder betonten, dass in zwei Tagen eine weiter schwere Aufgabe wartet.
Das letzte Match gegen Burnley ist uns wohl allen noch in guter Erinnerung. Die später 1:0-Niederlage ist vermutlich einer der deprimierendsten Momente der Saison 2021/22 gewesen und führte zur größten Krise zwischen Antonio Conte und dem Club. Burnley seit Sean Dyches Abgang recht gute Ergebnisse einfahren konnten, aber sie spielen auch merklich offensiver als zuvor. Das könnte den Lilywhites in die Karten spielen. Immer wieder zu erwähnen ist auch die neue defensive Stärke Tottenhams. In 9 Spielen kassierte man lediglich 5 Tore und niemals mehr als eines 1 pro Match. Außerdem findet das Aufeinandertreffen nicht bei Wind und Regen auswärts statt, sondern erneut im eigenen Stadion. Conte hat die Supporter aufgefordert, die außerordentliche Stimmung vom Match gegen Arsenal zu replizieren. So will eine neue Faninitiative am Sonntag erstmals mit Fahnen das Team unterstützen. Wir wünschen dafür an dieser Stelle viel Erfolg!
Arsenal muss in den verbleibenden zwei Spielen auswärts gegen Newcastle und zuhause gegen Everton spielen. Gerade das Match am Montag gegen die Magpies könnte die Gunners zum Stolpern bringen. Newcastle hat im Jahr 2022 am viertmeisten Punkte zu Hause erspielt und nur ein einziges Mal (gegen Liverpool) verloren. Zwar hat das Team um Eddie Howe eigentlich keine großen Ziele mehr in dieser Saison. Doch es ist wahrscheinlich, dass den Fans nach dieser wechselhaften Saison und gerade nach der letzten krachenden Niederlage gegen City eine gute Leistung gezeigt werden soll. Kieran Trippier und Callum Wilson werden für diese Partie in die Startelf zurückkehren. Angesprochen auf das Spiel sagte der Ex-Spur Trippier: „It’s a massive occasion, the last home game of the season. The fans have been unbelievable since I arrived. (…) Arsenal are fighting to get in the top four, I want to help Tottenham obviously and then Burnley staying up.“
Arsenal wiederum hat große Personalprobleme. Zu den längerfristigen Ausfällen von Partey und Tierney ist am Donnerstag Gabriel hinzugekommen, der sich am Oberschenkel verletzt zu haben scheint. Rob Holding wiederum ist rotgesperrt. Das bedeutet, dass Arsenal mit Ben White nur einen einzigen einsetzbaren natürlichen Innenverteidiger haben. White saß zwar auf der Bank, aber ob er wirklich matchfit ist, bleibt fraglich.
Selbst wenn es am Ende für die Spurs nicht zur Champions-League-Qualifikation reicht, wäre das zwar eine große verpasste Chance – doch
Einzelkritik
Die Einzelnoten reichen von 1 (unterirdisch) bis 10 (Weltklasse) und entsprechen lediglich der subjektiven Einschätzung des Autors.
Lloris (7,5/10): Nicht viel zu tun. War da, wenn er gefragt war. Besonders seine Parade gegen Nketiah in 45. Minute ist erwähnenswer.
Davies (8,5/10): Sah anfangs ein wenig nervös aus. Zog nach verlorenem Duell gegen Saka ein wichtiges taktisches Foul und sah dafür die gelbe Karte. Spielte dann souverän und war an vielen gefährlichen Situationen beteiligt. Klärte den Ball in der 51. Minute während einer wenigen Offensivaktionen Arsenals.
Dier (8/10): Wie immer – wenn es gut läuft – ein Fels in der Brandung. Leitet die Abwehrreihe gewohnt selbstbewusst. Klärte den Ball am häufigsten von allen Spurs-Spielern.
Sánchez (7/10): Erster Startelfeinsatz nach fast drei Monaten. Wirkte in den ersten Minuten verängstigt, festigte sich aber im Laufe des Spiels. Trug den Ball häufig nach vorne und spielte u.a. den Pass auf Kane vor dem dritten Tor. War auch in der Luft dominant.
Sessegnon (7,5/10): Fast alle Angriffe gingen über die linke Seite mit Davies, Son und Sessegnon. Spielte einige sehr schöne Flanken und kreierte gleich zwei Großchancen. War auch in Zweikämpfen und Pressings stark. Wichtig für die Kontrolle in der zweiten Hälfte.
Bentancur (7/10): Legte das zweite Tor ganz wunderbar mit dem Kopf vor. Ein dominantes Auftreten im Mittelfeld mit wenigen Ballverlusten. Alle von ihm gespielten langen Bälle waren erfolgreich.
Hojbjerg (8,5/10): War im Mittelfeld quicklebendig und zeigte eine beeindruckende Leistung. Ging überall dazwischen, gewann alle Zweikämpfe, fing Bälle ab und spielte wichtige, progressive Pässe. MOTM.
Emerson (7/10): Erneut ein guter Auftritt des Brasilianers, der so viel kritisiert worden ist. Defensiv bis auf einige Situationen grundsolide, war er auch offensiv häufiger zu sehen. Hätte mindestens einmal treffen müssen, vergab aber leider gleich zwei Großchancen.
Son (8,5/10): Wusste, wie er Holding Probleme bereiten konnte, der dann nach Foul mit Rot vom Platz musste. Gewann den wichtigen Elfmeter und traf dann in der 47. Minute auch noch. War sichtlich traurig, als er ausgewechselt wurde, konnte aber wohl durch Gollini und Conte beruhigt werden.
Kane (8,5/10): Mr. North London Derby. Zwei Tore gegen Arsenal. War auch maßgeblich am dritten Tor beteiligt, als er durch eine Drehung mit dem Ball Gabriel Probleme bereitete.
Kulusevski (6,5/10): Ein guter Auftritt, aber im Vergleich zu den anderen Offensivkräften blieb er etwas blass. Hatte manchmal etwas Unglück, nach eigentlich schönen Aktionen, den Ball zu verlieren.
Bergwijn (5/10): Kam in der 72. Minute für Son. War wenig zu sehen, aber das Spiel wurde zu diesem Zeitpunkt allerdings auch hauptsächlich verwaltet.
Lucas (5/10): Wurde in der 72. Minute für Kulusevski eingewechselt. Ähnlich wie Bergwijn relativ unsichtbar.
Rodon (keine Bewertung): Kam in der 82. Minute für Davies. Schön, den jungen Verteidiger mal wieder zu sehen.